Restexemplare
Ein junger Bibliothekar stößt während seiner Arbeiten in einer Kathedrale auf ein geheimnisvolles, uraltes Dokument, dessen Spur ihn zu einem riesigen, eingemauerten Kreuz führt. Doch während er versucht es teilweise freizulegen, geschieht etwas Schreckliches. Die düstere Kirche erwacht plötzlich zum Leben und zieht alle, die sich darin aufhalten, in einen Strom grausiger Vorfälle. Sie wird zur Spielwiese des Teufels, auf der sich ausschweifende Halluzinationen, Orgien der abgrundtiefsten Verderbtheit und blutigste Rituale vollziehen.
Was passierte an diesem geweihten Ort vor hunderten von Jahren? War es die Pest, ein schreckliches Gemetzel, Hexerei oder sind es die Opfer mittelalterlicher Quälereien, deren Seelen nun eine Antwort in der Gegenwart suchen?

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12. August 2025 22:50
Auf diesen Fels – oder auf diese Leichen? – baue ich meine Kirche…
Man möge mir nicht sagen, der hochtalentierte Regisseur Michele Soavi sei ohne Produzent und Autor Dario Argento nix. Hier scheint des Letzteren Name alles zu überstrahlen, indes zeigt schon das schmale Hauptwerk Soavis von gerade einmal vier Filmen, wie eigenständig der Mann ist. Und gut, wenngleich hier vielleicht noch nicht ganz auf der Höhe. Nach dem manchmal etwas vordergründig brutalen, aber manchmal auch angenehm doppelbödig-surrealen „Stage Fright“ wandte Soavi sich der Religion zu, vor allem im zweiten (The Church) und dritten (The Sect) Streifen. Und hier gelingt ihm bereits viel. Während Argento oft am besten war, soweit er konsequent auf Oberflächenreize setzte (das ist nicht mal als Kritik gemeint), interessiert sich Soavi auch für sein Material, seine Hintergründe, seine Geschichte. Geschichte im doppelten Sinne: In irgendeiner Waldgegend sehen wir Kreuzritter zu Pferde, die anschließend eine ganze angeblich besessene Dorfgemeinschaft niedermetzeln. Dies geschieht nicht nur im Nahem des Kreuzes, sondern sozusagen durch das Kreuz, wenn wir (lange bevor es in Mode kam) eine POV-Perspektive durch den, pardon, Kreuzschlitz des Helmes serviert bekommen. Und eine Schlachteplatte wird's, bei der Soavi immerhin vorher schon sein Talent für verhaltene grausame Zärtlichkeit erkennen lässt (große Augen, Eisenhandschuh auf dem Mädchengesicht, wird der Mann es streicheln oder zudrücken?). Danach geht's ab, da wird nicht nur ein Kopf abgetrennt, da zeigt die Kamera mehrfach, wie er wieder und wieder zu Brei getrampelt wird. Man kann von einem alttestamentarischen Furor sprechen (und viele Bibelpassagen à la „Da soll keiner zurückbleiben, auch nicht einer“ rechtfertigen die Bildsprache durchaus). Und grad das dadurch geschaffene Massengrab wird der Grund, auf dem eine Kirche errichtet wird, welch Symbolik, wiederum durch ein riesiges Kreuz als Grundsteinlegung ausgedrückt. In einer für 1989 und FX-Meister Stivaletti überraschend guten, offenbar computeranimierten Kamera-Rückwärtsfahrt kommen wir von diesem Kreuz aus zu einem imposant großen Gotteshaus in der Jetzt-Zeit. Dass es noch nicht ganz fertig ist, eine Künstlerin an (übrigens sehr beunruhigenden) Fresken arbeitet und ein Bibliothekar erstmal „Ordnung schaffen muss“, ist vielsagend. Hier ist das übliche „wir gegen die“ aufgehoben, hier kommen zwar die Dämonen wieder ans Licht, aber es sind keine „anderen“, sondern die Kirche war mit dem Teufel eh schon eine unheilige Allianz eingegangen und hat in jeglichem Sinne ihre „Leichen im Keller“. (Im Übrigen, was Gott gegen Satan betrifft, hat Gott ja wohl auch Satan geschaffen…) Diese Kirche ist ein Ort der abgeschlossenen Welt, schon bevor sie zu einem Gefängnis im Sinne eines klassischen Thrillers wird. Und das ist keine freundliche Welt. Der gestrenge Bischof wirkt von Anfang an dräuend unsympathisch, die jungen Pfarrer wirken angesichts seiner gehemmt. Einer von Ihnen, ein Farbiger, muss sich einmal ein böses Wortspiel in Verbindung mit seiner Hautfarbe gefallen lassen. Die Teenagerin Lotte lebt in einem angeschlossenen Raum mit den gestrengen Eltern, die sie zu rechtem Glauben und Keuschheit mahnen, und bezeichnenderweise führt auch von dort der Weg herein und hinaus lediglich durch das Haupteingangsportal des Gotteshauses. Eine Ahnung von Freiheit (die aber trügerisch konnotiert ist) findet Lotte nur durch einen nur ihr bekannten Geheimgang durch die Katakomben, den sie gelegentlich nutzt, um ungewohnt aufgebrezelt durch Hamburgs (jawoll, da befinden wir uns nämlich) Amüsiermeile zu ziehen. Ob sie – ihre Aufmachung lässt es zumindest nicht ganz fernliegend erscheinen – dort auch auf einen Teeniestrich geht, bleibt offen. Diverse Aggressionen und Merkwürdigkeiten sowie das Hinzukommen weiterer Personen führen zu einer Bedrohung, die man vielleicht ansatzweise mit „Die Fürsten der Dunkelheit“ und „Rosemary’s Baby“ vergleichen kann, die aber genug Eigenständigkeit hat. Neben den genannten Elementen besticht Soavi mal wieder mit seinem Faible für Keller- und vor allem Wassersymbolik – der Keller als möglicher Weg in die Freiheit, aber auch ins Verderben, das Wasser als Möglichkeit des Reinwaschens, aber auch der Katastrophe wie bei einer Sintflut. Manche langen, auf den ersten Blick etwas wirr wirkenden surrealen dialoglosen Szenen geben sich die Klinke in die Hand und lassen noch Raum für neue Mutmaßungen (z.B. das „unschuldige“ Weiß eines Brautkleides, bei dem man aber gar nicht so genau weiß, ob hier eine echte Hochzeit im christlichen Sinne oder ein Modeshooting vorliegt, dessen Beteiligte als Eindringlinge zu sehen sind, sodass das Weiß sich bald rot färben könnte). Augensymbolik en masse, z.B. anhand eines besonderen Steins, dreht den Spruch „Gott sieht alles“ ins extrem Böse. Manches ist vielleicht ein wenig zuviel des Budenzaubers. Sobald wir erstmals (ziemlich früh) die Spitzen von Absperrungsgitterstäben sehen, wissen wir, dass die irgendwann in einem Körper sein werden, und so kommt es auch (interessanterweise aber wieder aus POV-Perspektive, die Anfangsszene repetierend). Und das Design eines Teufelswesens am Ende nimmt dann doch ein wenig von der Ambivalenz, die daraus entsteht, dass das Böse nicht „das andere“ zu sein scheint, sondern vom Göttlichen nicht zu trennen ist. Sowas hätte Soavi gar nicht nötig gehabt. Seine Eigenständigkeit erkennt man im Übrigen daran, dass er sehr kunstfertig mit Symbolik umgeht (auch die diversen Kirchenfiguren werden immer wieder wirkmächtig ins Bild gerückt) und anders als Argento dessen delirierenden Farben eine entsättigte (und nicht minder beeindruckende) Palette entgegensetzt. Soavi wurde vielleicht in den Filmen 3 und 4 noch etwas besser, weil er in „The Sect“ sich noch deutlicher von einer Gut-gegen-Böse-Welt trennt und schon Anzeichen einer geschlossenen Kunstwelt erkennen lässt. Und in „Dellamorte Dellamore“ lässt er seine Protagonisten endgültig in einem beeindruckend konsequenten Fantasy-Zwischenreich zwischen Leben und Tod ankommen und braucht den ollen Satan nicht mehr, sondern sagt jede Menge über den Tod an sich aus. Aber „The Church“ ist ebenfalls schon sehr beeindruckend und trotz einiger heftiger Szenen gewiss kein Splatter von der Stange. Hirn, Herz, Herzblut, Blut – alles drin. (Noch) fünf Sternleinchen. Wenn mir jetzt noch jemand erklären könnte, wieso in beiden in Deutschland spielenden Soavi-Filmen (dieser hier und „The Sect“) jeweils deutlich erkennbar jemand ein „Lustiges Taschenbuch“ liest, wäre mein Glück vollkommen:-)